Vom 16. bis 20.05.2022 haben Mitarbeiter*innen von Faire Mobilität zusammen mit Kolleg*innen des transnationalen Beratungsprojekt Network for Fair Posting eine Delegationsreise nach Bukarest unternommen. Ziel der Reise war es, Partnergewerkschaften zu treffen sowie Netzwerke zu relevanten Institutionen und Akteuren in Rumänien aufzubauen. Gemeinsam mit ihnen wurde über die Arbeitsbedingungen der rumänischen Beschäftigten in Deutschland in der Bauwirtschaft, der saisonalen Landwirtschaft sowie Fleischbranche gesprochen und über Hilfemöglichkeiten diskutiert.
Faire Mobilität
Die Reise, an der 19 Delegationsmitglieder unterschiedlicher Organisationen und Behörden teilgenommen haben, wurde vom transnationalen Beratungsprojekt Network for Fair Posting in Zusammenarbeit mit dem Beratungsnetzwerk Faire Mobilität und dem rumänischen Gewerkschaftsbund Blocul Naţional Sindical (BNS) organisiert. Als das Land, aus dem eine große Zahl der Beschäftigten in der Bauwirtschaft, der saisonalen Landwirtschaft sowie Fleischbranche in Deutschland kommen, hatte die Reise zum Ziel Netzwerke zu relevanten Institutionen und Akteuren in Rumänien aufzubauen sowie in einen Austausch über die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in Deutschland in den genannten Sektoren zu treten und Fragen zur Beratung dieser Beschäftigtengruppe zu diskutieren.
An der Reise teilgenommen hat eine Gruppe von 19 Personen bestehend aus überwiegend rumänischsprachigen Berater*innen des Netzwerkes Faire Mobilität, Mitarbeiter*innen des Beratungsprojektes Network for Fair Posting, einer Kollegin von der SOKA BAU, Kolleg*innen der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten NGG, einer Kollegin vom PECO Institut e.V., dem deutschen Verbindungsbeamten der Europäischen Arbeitsbehörde ELA sowie einem Kollegen aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
Das Programm für die Delegation sah Meetings mit der Nationalen Arbeitsagentur, der Nationalen Rentenanstalt (CNPP), der Nationalen Krankenversicherungsanstalt (CNAS), der Nationalen Arbeitsinspektion (INSPECTIA MUNCII), der Nationalen Steuerverwaltungsbehörde (ANAF) sowie der Deutschen Botschaft vor. Zudem suchten die Delegationsmitglieder den Austausch mit den Gewerkschaftspartnern von BNS, FGS Familia, Agrostar und Cartel Alfa. Thematisch konzentrierten sich die Gespräche auf die Arbeitsbedingungen rumänischer Arbeiter*innen in der Land- und Bauwirtschaft sowie Fragen zur Sozial- und Krankenversicherung für Saisonbeschäftigte und entsandte Arbeitnehmer*innen. Die Termine fanden auf Rumänisch statt und wurde für nicht rumänisch sprachige Teilnehmende vor Ort durch ein Dolmetscher*innen-Team ins Deutsche übersetzt.
Beim Treffen mit der Nationalen Arbeitsagentur sowie dem Netzwerk European Employment Services (EURES) wurde zunächst Zahlen zum nationalen Arbeitsmarkt gegeben. Vor allem aber wurde über die hohe Abwanderung von Fachkräften aus Rumänien diskutiert sowie die sich verändernde Rolle des EURES Netzwerks in Bezug auf Arbeitssuche im Ausland beleuchtet. In Zeiten des Internets finde die Jobsuche zunehmend direkt über Social-Media-Kanäle sowie Mund zu Mund Propaganda statt.
Beim Gespräch mit der Nationalen Rentenanstalt (CNPP) waren A1 Bescheinigungen bzw. sogenannte Negativbescheinigungen das dominierende Thema. Der Diskussion vorangestellt war die Frage, wie besser sichergestellt und in Deutschland belegt werden könne, ob Sozialversicherungsschutz in Rumänien vorliege. Die von der Rentenanstalt vorgestellten Zahlen aus dem Jahr 2021 dazu besagen, dass gegenüber 68.000 A1-Bescheinigungen 80.000 sogen. Negativbescheinigungen für rumänische Bürger*innen ausgestellt wurden, die die Anwendung der rumänischen Rechtsvorschriften hinsichtlich des Sozialversicherungsschutzes ausschließen. Das bedeutet, das in diesen Fällen die versicherungsrechtliche Beurteilung nach deutschem Sozialversicherungsrecht vorzunehmen sei. Eine Verbesserung des Abgleichs über den Sozialversicherungsstatus könnte die 2023 geplante Implementierung in das EESSI System (Electronic Exchange of Social Security Information) bringen. Damit kann das Vorliegen einer A1-Bescheinigung und der damit zusammenhängende Sozialversicherungsstatus in Echtzeit geprüft werden.
Beim Termin mit den Vertreter*innen der Nationalen Krankenversicherungsanstalt (CNAS) wurde zunächst besprochen, unter welchen Voraussetzungen rumänische Bürger*innen Mitglied in der nationalen Krankenversicherung werden und dort Leistungsansprüche haben. Die Berater*innen schildeten Beratungsfälle, in denen die Arbeitnehmer*innen einen Arbeitsunfall erlitten und weder durch das deutsche noch das rumänische System versichert waren. Die CNAS entgegnete, dass trotz einer Versicherungspflicht für alle rumänisches Bürger*innen in Rumänien, diese nicht eingehalten werde und keine Instrumente existieren, diese durchzusetzen. Zudem verwies die CNAS beim Thema Arbeitsunfall drauf, dass sämtliche Angelegenheiten in Zusammenhang mit einem Arbeitsunfall in die Zuständigkeit des CNPP fielen.
Die Arbeitsinspektion stellte zunächst ihre Struktur vor. Dabei verwies sie auf die vielen durchgeführten Kontrollen sowie die regelmäßigen Infokampagnen an der Grenze zu Deutschland sowie im Internet. Zuletzt wurde eine solche Infokampagne für Menschen organisiert, die in Deutschland in der Landwirtschaft arbeiten wollten. Auch wurde klargestellt, dass die Befugnisse der Arbeitsinspektion sich auf das Durchführen von Kontrollen und das Verhängen von Bußgeldern gegen Unternehmen beziehen. Durchsetzung der ausstehenden Lohnansprüche obliegt den Arbeitnehmer*innen selbst.
Beim Besuch der Deutschen Botschaft haben die Delegationsgäste Informationen zur Parteienlandschaft und der aktuellen politischen Situation in Rumänien sowie den Umgang mit dem Ukraine-Krieg und den vielen geflüchteten Menschen erhalten.
Die SOKA BAU Kollegin zusammen mit dem Vertreter des BMAS trafen sich zu einem Arbeitsgespräch mit der Nationalen Steuerverwaltungsbehörde ANAF. Ziel des Gesprächs war es, ein geplantes Abkommen zwischen ANAF und SOKA BAU zur Abführung der Sozialversicherung für das Urlaubsgeld von nach Deutschland entsandten Bauarbeitern zu diskutieren. Dabei wurden verschiedene Verfahrensmodelle besprochen, die eine regelkonforme Abführung der Sozialabgaben in Rumänien sicherstellen. Die konkreten Vorschläge sollen nun dabei helfen die Fertigstellung des Abkommens zwischen Rumänien und Deutschland zu beschleunigen.
Beim Treffen mit Cartel Alfa wurde zunächst die Struktur des Gewerkschaftsbundes vorgestellt und über Probleme von rumänischen Bauarbeitern in Deutschland berichtet. Auf besonderes Interesse ist die Idee einer Beratungsstelle oder Informations-Hotline für rumänische Bürger gestoßen, die planen in Deutschland zu arbeiten. Erfahrungen dazu gäbe es bereits von einer Beratungsstelle für rumänische Arbeitnehmer*innen, die aus Italien nach Rumänien zurückgekehrt sind und Unterstützung dabei erhalten, die im Ausland erworbenen Rentenansprüche anerkennen zu lassen. Eine Finanzierung für die dieses Vorhaben könnte bei der Europäischen Kommission angefragt werden.
Während eines weiteren Termins traf die Delegation Gewerkschaftskolleg*innen von BNS, FGS Familia (zuständig für Baugewerbe) und Agrostar (zuständig für Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie). Der Gewerkschaftsbund BNS war ebenfalls an der Organisation der Delegation beteiligt. Auch hier wurde die Idee eines Beratungsnetzwerks in Rumänien begrüßt, das jedoch Informationen zur weltweiten Migration bereitstellen soll. Es bedürfe dazu allerdings bilateraler Abkommen zwischen den europäischen Gewerkschaften sowie den jeweiligen Ländern. Des Weiteren stellten FGS Familia und BNS die Initiative zur Einführung einer Identifikationskarte für jeden rumänischen Beschäftigten im Baugewerbe vor. Das Vorhaben befinde sich noch in der Pilotprojektphase. Auf der Karte sollen u.a. Informationen über den Krankenversicherungsschutz, Arbeitsschutz, Sozialversicherungsbeiträge, Qualifikation, geleistete Facharbeit enthalten sein. Sie kann potenziell auch zur Arbeitszeitdokumentation verwendet werden. Nach vorheriger Einwilligung durch den/die Arbeitnehmer*in sollen Kontrollbehörden auf relevante Daten Zugriff erhalten. Beim Arbeitgeberwechsel würde der/die Besitzer*in die Karte mitnehmen und sie dem nachfolgenden Arbeitgeber vorlegen. Ein weiteres Gesprächsthema waren die Arbeitsbedingungen von Saisonbeschäftigten in Deutschland. Agrostar kritisierte in dem Zusammenhang, dass staatliche Subventionen für Bauern in Deutschland nicht an Bedingungen zur Einhaltung des Arbeitsschutzes sowie arbeitsrechtlicher Rechtsvorschriften geknüpft seien.
Den Abschluss der Delegation bildete eine große Konferenz, die in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Ebert-Stiftung organisiert wurde. Eine Reihe hochrangiger Gäste nahm Stellung zu den Arbeitsbedingungen der rumänischen Arbeiter*innen im Deutschland. Der rumänische Arbeitsminister, Marius-Constantin Budăi, setzte sich für ein deutsch-rumänisches Kooperationsabkommen ein, das besseren Schutz für die Arbeiter*innen verspricht. Zudem nahm sich der Minister ca. 30 Minuten Zeit für ein Gespräch mit den Delegationsgästen, bei dem u.a. über die Ausnahmeregelungen für Saisonbeschäftigte gesprochen wurde aber auch grundsätzlich über arbeitsrechtliche Probleme von rumänischen Beschäftigten in Deutschland.
„Angesichts dieser Unregelmäßigkeiten, die vor allem von rumänischen Arbeitnehmern gemeldet wurden, die in landwirtschaftlichen Betrieben als Saisonarbeiter oder in der Fleischindustrie beschäftigt sind - wir alle wissen, dass wir gewisse Probleme hatten -, halten wir es für notwendig, dass wir diese Tätigkeit und die Situation unserer Rumänen dort ständig überwachen und auch nicht nur überwachen, sondern auch schnelle Lösungen finden, um Abhilfe zu schaffen." (Quelle)
Nach der Konferenz stellte der Minister sich den Fragen der Journalist*innen. Die Konferenz wurde in den Medien vielfach erwähnt.
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Das EU-geförderte Projekt "Fair European Labour Mobility" betreibt gewerkschaftsnahe Beratungszentren für entsandte Arbeitnehmer*innen in Polen, Slovenien, Rumänien, Ungarn und Österreich.
Neben der Beratung von Arbeitnehmenden, sind sie im engen Kontakt mit verschiedenen Akteuren in ihren Ländern und in den Empfängerländern, um Probleme zu lösen, sich über Gesetze und Vorschriften auszutauschen, Kontakte zu vermitteln, sich zu vernetzen und einen fairen, europäischen Arbeitsmarkt voran zu bringen.