In Dänemark und Niederlande wurden in den letzten Tagen auf Intervention von Gewerkschaften insgesamt 40 LKW-Fahrer in Sicherheit gebracht, bei denen der dringende Verdacht auf Menschenhandel und Arbeitsausbeutung besteht.
In Ense, in der Nähe von Dortmund, sitzen weitere 16 Fahrer von den Philippinen auf dem Betriebsgelände der Firma NTG Logistics, in deren Fall ähnliche Verbrechen vermutet werden. Gewerkschaftskollegen aus den Niederlanden und von Faire Mobilität sind seit Samstag anwesend und begleiten und unterstützen die Fahrer. Die Fahrer haben Angst ihren Job zu verlieren, der für sie und ihre Angehörigen eine Lebensgrundlage bildet.
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Nach Auskunft der Männer, arbeiten und leben sie zum Teil seit 18 Monaten in ihren Lkws. Ense scheint dabei der Mittelpunkt ihrer Tätigkeit gewesen zu sein. Auf dem Betriebsgeländer der Firma NTG Logistics verbringen sie, in ihren LKWs hausend, die Wochenenden. In dieser Zeit scheint der Betrieb abgeschlossen zu sein. Es stehen keine Duschen zur Verfügung, lediglich ein Dixi-Klo ist vorhanden.
Die Polizei, das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) und das Ordnungsamt ermittelt seit Sonntag. Das BAG will Bußgelder gegen das Unternehmen verhängen. Dennoch wurde den Fahrern am Dienstag freigestellt, die Arbeit wieder aufzunehmen. Die Konsequenz: Das Unternehmen droht den Fahrern, dass sie gekündigt werden, wenn sie nicht wieder ihre Arbeit aufnehmen. Nach einer Kündigung würden sie nach Polen gebracht, wo sie ihren Vertrag unterschrieben haben und sollen dann wieder auf die Philippinen ausreisen.
Gewerkschafter haben am Dienstag Anzeige wegen Menschenhandel (§232 StGB), Zwangsarbeit (232b StGB) und Ausbeutung der Arbeitskraft (§233) gestellt. Eine Ermittlung der Staatsanwaltschaft in diese Richtung wäre eine wesentliche Voraussetzung, um den Männern in Deutschland einen Schutzstatus zu gewähren.
Das dänische Unternehmen Kurt Beier Transport A/S wirbt gegen eine Gebühr Menschen auf den Philippinen an und verspricht ihnen einen Job als Lkw Fahrer in Polen. Es gibt Hinweise, dass die Firma in Polen zu dem dänischen Unternehmen gehört, wobei der es sich vermutlich um eine Briefkastenfirma handelt. Die Fahrer haben angegeben, dass sie 2000 bis 5000 Euro bezahlen mussten, damit ihnen über diese Firma die nötigen Papiere besorgt werden, damit sie EU-weit als LKW-Fahrer eingesetzt werden können. Sie verfügen in Polen über keine Unterkunft, sondern nur über einen polnischen Arbeitsvertrag und werden sofort in ihrem Lkw losgeschickt, um in verschiedenen Ländern Europas zu fahren. Die Männer gaben an, hauptsächlich Touren zwischen Deutschland und Österreich und Deutschland und Italien zu fahren. Der Arbeitsmittelpunkt sei Ense.
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Die Entscheidung des BAG, wieder eine Fahrerlaubnis zu erteilen, ist nicht nachvollziehbar. Nach-dem die Fahrer über Monate keine vorgeschriebenen Ruhezeiten einlegen konnten, bedeutet dies eine enorme Gefährdung der Verkehrssicherheit. Hinzu kommt, dass sich die Männer seit Anbeginn der Ermittlungen in einer Stresssituation befinden. Kein Mensch sollte in dieser Situation 40 Tonnen über die Autobahn lenken.
Nach unserer Einschätzung haben die Fahrer für jede Stunde, in der sie in Deutschland gearbeitet haben, Anspruch auf den deutschen Mindestlohn. Eine erste Lohnkalkulation ergab für einen der Fahrer einen Lohnanspruch von 2.300€. Nach seiner Auskunft habe er bisher lediglich 500€ Lohn erhalten.
Im Mittelpunkt wird stehen, ob die Staatsanwaltschaft dem Anfangsverdacht auf Menschenhandel (232 StGB), Zwangsarbeit (232b StGB) und Ausbeutung der Arbeitskraft (233 StGB) nachgeht. Nach den Gesprächen mit den Fahrern drängt sich zunehmend der Eindruck auf, dass sie in diese Situation hineingedrängt und gehalten wurden. Indikatoren dafür sind die enormen finanziellen Aufwendungen, um die Arbeit aufnehmen zu können; die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen; die Isolation der Fahrer; die Verknüpfung von Arbeits- und Lebensort im Lkw; die Mindestlohnunterschreitungen; Diskriminierung; sowie Druck die Lenk- und Ruhezeiten nachweislich zu missachten.
Die dänischen und niederländischen Behörden haben diesen Zusammenhang hergestellt und gewähren den dort eingesetzten philippinischen Fahrern Schutz. Würde der Anfangsverdacht auch von den deutschen Behörden angenommen, wären die Fahrer nicht mehr gezwungen die unwürdigen Arbeitsbedingungen zu akzeptieren und hätten Zeit mit gewerkschaftlicher Unterstützung weitere Schritte zu planen.
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