Deutscher Gewerkschaftsbund

Faire Mobilität-Studie 2012

Michaela Dälken

Michaela Dälken

Im Auftrag des Projekts hat Michaela Dälken die Arbeitssituation von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus den mittel- und osteuropäischen EU-Staaten auf dem deutschen Arbeitsmarkt anhand der Daten- und Rechtslage untersucht.

Ihr Fazit: Die Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit funktioniert in vielen Bereichen gut. Viele mobile Beschäftigte arbeiten unter gesetzlichen Arbeitsbedingungen, werden tariflich bezahlt und sind gut integriert. In einigen Branchen dagegen, wie dem Baugewerbe, der Gebäudereinigung, der Schlachtindustrie, in den Pflegeberufen und im Hotel- und Gaststättengewerbe, gibt es ein große Anzahl von Beschäftigten aus den mittel- und osteuropäischen Ländern, die aufgrund mangelnder Kenntnisse ihrer Rechte und einer geringen Verhandlungsmacht oft systematisch ausgenutzt werden. Dies ist besonders der Fall bei entsendeten Beschäftigten, (Schein-) Selbständigen und grenzüberschreitenden Leiharbeiter/innen.

Die Expertise empfiehlt zur Verbesserung der Arbeitssituation, neben einer Überarbeitung der Entsenderichtlinie und dem Ausbau von Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten, vor allem verbesserte Informationsangebote und Beratungssysteme für mobile Beschäftigte sowie den Ausbau von Mitbestimmungsrechten von Betriebsräten. Beratungsangebote, wie die des Projektes Faire Mobilität, erweisen sich als wirksam, müssen aber ausgeweitet und intensiviert werden. Mobile Beschäftigte sollten bereits in den Herkunftsländern in ihrer Landessprache informiert werden, wozu die transnationalen Kooperationsbeziehungen zwischen den Gewerkschaften genutzt und ausgebaut werden sollten.

Zur Autorin

Michaela Dälken studierte an der Universität Osnabrück Geschichte und Germanistik. Nach einer Tätigkeit beim Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) wechselte sie 2001 zum DGB Bildungswerk Bund, wo sie heute das Kompetenzzentrum Globale Mobilität und soziale Sicherheit leitet. Zudem hat sie einen Lehrauftrag an der Universität Osnabrück.


Interview mit der Autorin Michaela Dälken
Was ist die Datengrundlage für Ihre Expertise?

Es ging uns bei der Analyse darum, eine vielfältige Datengrundlage zu nutzen, um ein möglichst breites Bild von der Materie zu erhalten. Daher haben wir uns dafür entschieden, zum einen eine intensive Literatur- und Quellenrecherche zu betreiben. Dazu gehört natürlich die bestehende Sekundärliteratur. Aber eben auch die sogenannte graue Literatur, also beispielsweise verschiedene Informationsblätter, die von Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden, NGOs oder auch Regierungsorganisationen herausgegeben wurden. Zum anderen war es uns wichtig, das vorhandene Fachwissen in Beratungsstellen, Gewerkschaften und anderen Organisationen einzubinden. Deshalb ist die zweite Basis der Analyse Interviews mit Beraterinnen und Beratern sowie Expertinnen und Experten. Diese stammen vorrangig aus Gewerkschaften. Um möglichst unterschiedliche Sichtweisen einzubinden, wurden darüber hinaus Stakeholder in Regierungsorganisationen und Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) einbezogen.

Was sind die fünf wichtigsten Ergebnisse?

Wichtiges Ergebnis war für mich, dass zwar in vielen Bereichen die Arbeitnehmerfreizügigkeit gut funktioniert – also die Beschäftigten aus den Mittel- und Osteuropäischen Staaten unter ähnlichen Bedingungen arbeiten wie andere Beschäftige in Deutschland, aber: Die Analyse hat auch gezeigt, dass in bestimmten Branchen Mindeststandards der Arbeitsbedingungen und Entlohnungssysteme systematisch umgangen werden. Als besonderer Risikofaktor hat sich dabei die Dauer der Beschäftigung erwiesen. Arbeitnehmende, die nur kurzfristig (also bis zu zwei Jahren; häufig mit rotierendem Aufenthalt) in Deutschland arbeiten, sind besonders stark von Ausbeutung bedroht. Dies ist vor allem bei Entsendeten, Leiharbeitsbeschäftigten, Beschäftigten bei Werkvertragsunternehmern zu beobachten, zudem bei Selbstständigen, insbesondere wenn es sich hier um eine verdeckte Beschäftigung handelt.

Übliche Praxis ist, dass den Betroffenen zu geringer oder kein Lohn für ihre Tätigkeit ausgezahlt wird. Außerdem werden immer wieder Bestimmungen zum Gesundheitsschutz umgangen und Sozialleistungen nicht korrekt bezahlt. Es ist wirklich erschreckend, wie einfach rechtliche Rahmenbedingungen ausgehebelt werden können und Gewinne unter menschenunwürdige Bedingungen auf dem Rücken dieser Menschen maximiert werden.

Vor diesem Hintergrund ist es gut, dass es bereits verschiedene Beratungsstellen und Informationsangebote gibt. Trotzdem sind die Angebote noch nicht ausreichend. Insbesondere die von öffentlicher Hand geförderten Beratungsstellen zielen auf langfristige Integration, kurzfristig Beschäftigte wie Entsandte fallen durch dieses Raster. Deshalb ist es gut, dass im Rahmen des Projektes Faire Mobilität Beratungsstellen insbesondere mit Blick auf mobile Beschäftigte und ihre Bedürfnisse eingerichtet wurden. Dies kann jedoch meines Erachtens nur ein Ausgangspunkt sein, der Bedarf ist weitaus größer. Wir brauchen eine langfristige Verstetigung und Erweiterung der Beratungsstrukturen für mobile Beschäftigte.

An wen richten sich Ihre Handlungsempfehlungen?

Die Handlungsempfehlungen richten sich an Entscheiderinnen und Entscheider in der Politik sowie an diejenigen, die sich in verschiedenen Organisationen und Beratungsstellen um die Belange von mobilen Beschäftigten aus den mittel- und osteuropäischen Staaten kümmern.

Die Handlungsempfehlungen spiegeln die unterschiedlichen Problemlagen wider, die in der Analyse herausgearbeitet wurden. Dabei geht es um politische Konsequenzen, die getroffen werden müssten, und um Konsequenzen auf der ausführenden Ebene, also zum Beispiel in Beratungsstellen, Gewerkschaften oder auch in Wohlfahrtsverbänden und Migrantenorganisationen.

Kontakt

Faire Mobilität 
c/o IG Metall, Alte Jakobstraße 149, 10969 Berlin
E-Mail kontakt@faire-mobilitaet.de 
Telefon +49 30 219653721

 

 

Flyer

Der Gesamtflyer gibt Auskunft über die Arbeit von Faire Mobilität und die nationalen Beratungsstandorte, sowie die europäischen Kooperationspartner*innen.